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22. November 2009 7 22 /11 /November /2009 18:37

1967: Der Skandal von Holzen, Kinderheim Rübezahl,  läßt sich im Landesjugendamt nicht mehr zudecken. Die Verhandlungsstrategie eines Reg.Dir. von Wolff mit Pastor Isermeyer muss als gescheitert gelten. Dennoch dauert es nochmals 5 Jahre bis zur Schließung.

 

 

Dokument
104 -109 //
P 1/59–5/59


14.11.1967
AZ: A 12/2 – 71
XIV 28 / 2 J

Interner Vermerk

Landesjugendamt



 
Vermerk über die erneute Überprüfung durch das Landesjugendamt Hannover


Anwesende Kinder: ganztags: 81
Alter: 1 ½ - 15 J.
(6 Gruppen zu je 11-16 Kindern). Im Heim sind durchschnittlich 45 Schulkinder untergebracht.

Pflegesatz: 15,94

Ärztl. Überwachung durch Dr. med. Fehleisen
Zeitraum tgl.


Gesamteindruck: Besorgniserregend! 

In räumlicher und ausstattungsmäßiger Hinsicht – trotz erheblicher Investitionen des Trägers während der letzten Jahre – unzureichend….Da der Erwerb und somit eine grundlegende Verbesserung der Unterbringungsverhältnisse in absehbarer Zeit nicht verwirklicht werden kann, erscheint eine Verlegung des Heimbetriebs in Neubauten resp. In geeignete Gebäude unerlässlich.

Es sei nur noch einmal auf einige der Unzulänglichkeiten hingewiesen:

Einige der Kindergruppen beherbergenden Baracken haben überhaupt keinen Wasseranschluß! Die Betreuungskräfte müssen also alles Wasser heranschleppen und sparsam damit umgehen. Nur in einer der 6 Gruppen sind Kindertoiletten installiert. Die Kinder der anderen Gruppen müssen bei jeder Witterungslage einen verhältnismäßig weiten und größtenteils unbefestigten Weg zu der die Wasch- und Toilettenräume beherbergenden Baracke zurücklegen. 

Will ein Kind die Toilette benutzen, muß es sich erst von der Gruppenleiterin den Schlüssel hierfür aushändigen lassen. An diesem Schlüssel ist gleichzeitig ein Vierkantkopf befestigt, mit Hilfe dessen die einzige im Toilettenraum vorhandene Waschstelle benutzt werden kann. Es bleibt dahingestellt, ob oder wie oft sich unter diesen Umständen Kinder nach Benutzung der Toilette die Hände überhaupt waschen. Übrigens befand sich am Besichtigungstag an dieser einen Wasserstelle weder Seife noch ein Handtuch.

Um nachts ihr Bedürfnis zu erledigen , müssen auch von den großen Schulkindern Eimer benutzt werden.

Als sehr bedenklich und besorgniserregend muß die schon jahrelang anhaltende und wiederholt schriftlich angezeigte unzureichende personelle Besetzung angesehen werden. 

In Anbetracht der Abwesenheit von Frau Leupold und da Frau B. uns nur sehr widerstrebend durch das Heim führte …und sich bereits zu Beginn zeigte, daß mit dieser Vertreterin der Heimleiterin kein sachlich-fachliches Gespräch zu führen war, wurde nur ein flüchtiger Rundgang, der jedoch leider die hier festzuhaltenden zahlreichen Unzulänglichkeiten deutlich machte, vorgenommen.

Außer der Gruppe der großen Jungen, die Frau B. führt, werden alle Kindergruppen sonst von z.T. recht jungen Kinderpflegerinnen geleitet. Als Zweitkraft wird eine Kinderpflegerin im Anerkennungsjahr (Alter etwa 17 bis 18 Jahre) beschäftigt; als Drittkraft ist jeweils ein Mädchen, welches im Frauenheim im Rahmen der öffentlichen Erziehung untergebracht wurde, das sich nun hier bewähren soll (vorwiegend für die Hausarbeit).

Höchst bedenklich wird die Situation für eine Gruppe, wenn die Leiterin oder die Zweitkraft .. mit den ihr anvertrauten Kindern allein gelassen wird.
So wurde am Besichtigungstag eine junge Kinderpflegerin, Gruppenleiterin der Kleinstkindergruppe, allein angetroffen. Alle Kinder krochen, sich selbst überlassen und ungepflegt aussehend, auf dem Fußboden des Wohnzimmers herum. Im Türrahmen war – der besseren Übersicht wegen und zur Verhinderung, daß die Kinder alle Räume der Baracke gleichzeiti8g bevölkern – ein Gatter befestigt.. Diese Gruppenleiterin war damit beschäftigt und hatte alle Hände voll zu tun, den hauswirtschaftlichen Teil ihres Aufgabengebietes zu bewältigen, u.a. die täglich anfallende Kinderwäsche in einem Raum, der gleichzeitig als Teeküche, Waschküche und den Kindern als WC dient, zu waschen, zu trocknen, zu bügeln und instand zu halten. Kein Wunder, daß alle Räume von einem entsprechend schlechten Geruch durchdrungen waren. Unsere Frage, ob die Kinder bei dem an diesem Tage schönen Spätherbstwetter auch an der Luft gewesen seien, verneinte diese Gruppenleiterin resigniert und sichtlich erschöpft. 


Anzeichen weisen darauf hin, daß die hier aufwachsenden Kinder nicht die erforderliche fördernde Anleitung erfahren (hospitalistische Schäden).

Nach Angaben von Frau B. kommt es häufiger vor, dass ein Kind, aus welchen Gründen auch immer, die Gruppe und damit die Gruppenbetreuerin wechselt, so dass ein echter Bezug zwischen Gruppenmutter und Heimkind rar nicht zustande kommen kann.

Es ist sehr zu bedauern, dass der seinerzeit eingerichtete Kindergarten für die Kleinkinder des Heimes seit über einem Jahr ungenutzt steht.



Ein Heim dieser Größe und mit diesen die Arbeit erschwerenden räumlich-ausstattungsmäßig gegebenen Gegebenheiten muß

  • als stellvertretende Leiterin eine erfahrene sozialpädagogische Fachkraft …,
  • eine Kindergärtnerin für die kindergartenmäßige Betreuung der Kleinkinder,
  • sozialpädagogische Fachkräfte als Leiterinnen für alle Gruppen mit schulpflichtigen Kindern,
  • ausreichende Springkräfte

beschäftigen.


   
   
   
Dokument 
109//P1/60


4.1.1968

A 12/2 – 71 XIV
...
Herrn Reg. Ass. Te.
Frau SOI z.A. Kl.

im Hause



Ich möchte nicht, daß der am 22./27.12.67 … abgezeichnete Vermerk … über die Besichtigung des Kinderheims Holzen am 14.11.67 in der jetzigen Fassung so herausgeht.

Ich gebe zu, daß die Verhältnisse dort sehr ungünstig sind und auf eine erhebliche Besserung deutlich gedrungen werden muß. In der Form (nur!) muß aber darauf Rücksicht genommen werden, daß es allein von Pastor Isermeyer, der im Frauenheim praktisch letzte Instanz ist und zur Zeit alles selbst entscheidet, abhängt, ob das Landesjugendamt seine schwerverwahrlosten schulentlassenen Mädchen der FE/FEH in dem größten Mädchenerziehungsheim Niedersachsens, dem Frauenheim vor Hildesheim, (z.Z. 116 Mädchen der FE/FEH unter Betreuung des Landesjugendamtes Hannover im Frauenheim) unterbringen kann oder nicht. Pastor Isermeyer ist auf das Landesjugendamt nicht angewiesen; er kann sein Erziehungsheim auch ohne niedersächsische Minderjährige voll belegen. Hinzu kommt, daß Pastor Isermeyer auch leicht gereizt und sehr empfindlich ist. Es ist daher erforderlich, mit Pastor Isermeyer zu einem Übereinkommen zu kommen.

 

Ich schlage daher eine mündliche Besprechung mit Pastor Isermeyer über das Kinderheim Holzen vor (wie es bei allen heiklen Fragen der Heimaufsicht über die FE-Heime des Frauenheims auch schon bisher geschah). Auch kürzlich nach der Besichtigung des Frauenheims …. Wurde der heikelste Punkt, die Ersetzung einer unausgebildeten und auch ungeeigneten Heimleiterin im Buchenhof, nicht in die Niederschrift aufgenommen, sondern es soll dieser Punkt vielmehr mündlich mit Pastor Isermeyer besprochen werden. Ein solches Verfahren hat bei der FE/FEH bisher meist zum Erfolg geführt (z.B. in der Frage der zu primitiven Ausstattung der sog. „Besinnungsstübchen“). Deshalb sollte auch hier hinsichtlich des Kinderheims Holzen der … Vermerk … nicht als offizielle Niederschrift gelten, … sondern als interner, wenn auch für uns sehr wichtiger Vermerk in unseren Akten geführt werden. 

Offizielle Niederschrift sollte nur Blatt 1 … werden, wobei auf der Rückseite von Blatt 1 die letzten 4 Zeilen gestrichen werden sollten. Stattdessen sollte dorthin etwa gesetzt werden: “Auch die Besetzung des Kinderheims mit Fachpersonal ist so unzureichend, daß eine erhebliche Besserung auch unter Berücksichtigung des Mangels an Fachkräften dringend erforderlich ist. Im einzelnen wurden die Beanstandungen am …mit Herrn Pastor Isermeyer mündlich besprochen“. …
Die heiklen Punkte, die mündlich durchaus deutlich angesprochen werden müssten, sind die … auf … dem abgezeichneten Vermerk … genannten; diese wirken aber, mündlich vorgetragen, nicht so scharf und verletzend, wie sie – schriftlich – bei Absendung des jetzigen Bl. 2 und 3 … wirken würden, insbesondere das erwähnte Widerstreben der Frau Bauer gegen die Besichtigung durch das Landesjugendamt, die Feststellung der Unmöglichkeit, mit ihr ein sachlich-fachliches Gespräch zu führen, die Feststellung der Ungepflegtheit der Kinder, des schlechten Geruchs und die Behauptung der Entstehung von Schäden an den Kindern durch Hospitalismus pp.

Auf Grund der nur mündlichen Besprechungen der heiklen Punkte und des im einzelnen später noch festzulegenden , geschickten Einbaus des Besprechungsergebnisses in die offizielle Niederschrift wird sowohl das wichtige sachliche Anliegen der Heimaufsicht auf Abstellung der erheblichen Mängel im Kinderheim Holzen zu Gunsten der dort untergebrachten Kinder, deren Wohl das Landesjugendamt durch Aufsicht sicherzustellen hat, als auch das Anliegen des Abschnittes FE/FEH auf ein ungetrübtes Verhältnis mit Herrn Pastor Isermeyer zur Sicherung der Unterbringung der dem Landesjugendamt einzeln anvertrauten schwerverwahrlosten schulentlassenen Mädchen der FE/FEH gewahrt. Darin besteht die Verwaltungskunst, daß man bei Interessenkollisionen die Interessen aller Sparten des Landesjugendamts durch ein geschicktes Lavieren soweit wie möglich gleichzeitig wahrt.



 
   Dieses Lavieren des Landesjugendamtes Hannover ging fast 20 Jahre, wenn die Anfänge des Lagers mit seinen unhaltbaren Zuständen zur Zeit der Poggenhagener Mädchen mit berücksichtigt werden. Vier Jahre lang wurde immer wieder vom Landesjugendamt gefordert, mehr als nur eine Fachkraft bei 90 befreiten Plätzen einzustellen. Geschehen ist hier so gut wie nichts. Die erstzunehmenden und relativ differenzierten Hinweise auf eine fehlende Förderung der Kinder wurden zurückgepfiffen und in der offiziellen Dokumentation zurückgehalten, damit auch die Aussagen über emotional deprivierte Kinder. Alles war also bekannt. Trotz dieses Wissens geschah nichts. Vier Jahre zusätzlich sind für ein Kind eine Ewigkeit. 

Übrigens bin ich fest davon überzeugt, dass dieses Wissen schon vorher vorhanden war. Es fehlte nur der Mut, dies wenigstens intern zu dokumentieren.

Tatsächlich hat das Landesjugendamt die Logik des Trägers sogar nachvollzogen, dass die Baracken in einem derart schlechten Zustand waren, dass sie als Arbeitsplatz für Erzieher nicht zumutbar waren - aber gut genug, als dass Kinder dort ihre Kindheit verbringen konnten.

Ein weiterer Gedanke sei erlaubt: Es wird berichtet, dass trotz der oben beschriebenen Zustände der Träger bereits viele 1000 DM in das Lager investiert habe, nicht nur in die Gebäude, sondern in Betten, Spielmaterial, Spielplätze usw. Und dann werden 1968 immer noch solche Zustände beschrieben! Wie muss es da erst Anfang der 60er Jahre ausgesehen haben, die Zeitspanne wo das Landesjugendamt und das Kreisjugendamt über Jahre dem Heim keinen Besuch mehr abgestattet hatten.

Was muss Pastor Isermeyer für ein Mensch gewesen sein, dass ein Regierungsdirektor einen derartigen Respekt gehabt hat. Pastor Isermeyer wird an anderem Ort als Choleriker beschrieben, von dem man sich in Acht zu nehmen hatte. Aus den Akten geht hervor, dass er sein Belegungsmonopol in zynischer Weise auszunutzen verstand.

1967 waren bis zu 16 Fürsorgezöglinge in Holzen beschäftigt, Masse statt Klasse. Das musste ja ein Sodom und Gomorrha werden, was sich über das Lager wie ein Alb gelegt hatte.

  Die Dokumente beweisen eindeutig: alle habe gewusst, dass in Holzen unzumutbare Zustände geherrscht hatten, nichts wurde unternommen. Dass in solchen skandalösen Zuständen Kinder missbraucht wurden, ja sogar eine Kinderpflegehelferin sich von einem Jugendlichen des Heimes hat schwängern lassen, als sie ihn verführte, wundert nicht mehr.

Holzen war ein in sich geschlossenes System des Frauenheims vor Hildesheim:

  Die Kinder wurden in Himmelsthür geboren, die Mütter teilweise mit Unterstützung der Kirche ins Rheinland oder Westfälische vermittelt, über ein reines Säuglingsheim mit zwei Jahren nach Holzen weitergeschoben, dort von Kinderpflegerinnen aus Wahmbeck "erzogen" und von Mädchen der Fürsorgeerziehung aus Heimen des Frauenheims misshandelt und missbraucht. Soll da heute tatsächlich niemand mehr gewesen sein, der in der Diakonie weiß, was in Holzen geschah?


 

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Kommentare

H
Im Jahre1957 habe ich ein sogenanntes Vorpraktikum zur Kinderpflegerin in Himmelsthür machen müssen.Dort habe ich schlimme Dinge gesehen u. erlebt.Später in der Kinderpflegerinnenschule in<br /> Lüdersen,bin ich auch P.Isermeyer begegnet.Die Schule wechselte dann nach Wahmbeck.Mein Anerkennungsjahr machte ich in Tätendorf.Ich wünschte,niemals in all diesen Einrichtungen gewesen zu sein.Mir<br /> fehlen einfach die Worte,die das Elend beschreiben könnte,welches dort herrschte!!
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Über Diesen Blog

  • : Heimerziehung der 50er und 60er Jahre am Beispiel Holzen
  • : Dieser Blog behandelt meine mich prägende Heimzeit von 1957 bis 1963, in der ich vielen demütigenden Handlungen und sexuellem Missbrauch ausgesetzt war. Gleichzeitig soll die strukturelle Dimension des Missbrauchs deutlich werden, die weit über die Individualschuld der Pflegerinnen und Fürsorgemädchen hinausgeht. Verantwortlich waren leitende geistliche Personen des Frauenheims, das Landeskirchenamt der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, Kontrollbehörden usw.
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