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12. September 2011 1 12 /09 /September /2011 20:54

Lange haben wir ehemalige Heimkinder darauf gewartet, nun ist die Bitte um Verzeihung sowohl von der Evangelischen Kirche als auch dem Diakonischen Werk am 11. September ausgesprochen worden. Es fällt mir schwer sie anzunehmen.

 

  "... und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern, ..."

So wie wir auf Vergebung angewiesen sind, ist der Anspruch selber auch vergeben zu sollen nicht nur Aufforderung an den Christen um des Anderen willen, sondern Voraussetzung inneren Frieden zu finden. 

 

 Doch was macht es mir so schwer, diesem Anspruch an mich selbst hier zu entsprechen?

 

Zollitsch sprach:

 "Ich bitte die Betroffenen von Herzen für diese traurigen Ereignisse um Verzeihung."

 

Hier ist mir als ehemaliges Heimkind ein Verzeihen unmöglich gemacht, da ich mich in meinen  Erlebnissen meiner Heimzeit mit einem derartigen Euphemismus nicht ernst genommen sehe. Die in Deutschland stattgefunden habenden tausendfachen Demütigungen an Heimkindern als "traurige Ereignisse" zu bezeichnen zeigt für mich nur auf, dass hohe Kirchenvertreter immer noch nicht die Chuzpe haben, sich den unmenschlichen Schandtaten derer, die im Namen der Kirche gehandelt haben, zu stellen. Wenn Bischof Zollitsch als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz nicht mehr zu sagen weiss, ist wirkliche Begegnung und damit Verzeihung kaum möglich.

 

 

Im Rahmen der öffentlichen Veranstaltung am 11. September 2011 in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin erklärte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider, zusammen mit dem Präsidenten des Diakonischen Werkes der EKD, OKR Johannes Stockmeier, vor den anwesenden ehemaligen Heimkindern:

... 

"Im Namen der Evangelischen Kirche in Deutschland und im Namen des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland bitten Präsident Stockmeier und ich die betroffenen Heimkinder für das in evangelischen Heimen erfahrene Leid um Verzeihung."

 

 

 

Hierzu einige - sicherlich nicht abschließende Gedanken:

 

1. Die Bitte um Verzeihung kommt sehr spät - ist sie glaubhaft?

 

Evangelische Kirche als auch Diakonisches Werk sind in den letzten drei Jahren große Schritte gegangen. Es ist noch nicht lange her, dass ein Herr Kottnik von bedauerlichen Einzelfällen sprach, obwohl er bereits damals in seiner Stellung hätte  wissen müssen, dass diese Position unhaltbar ist.

Die damalige Landesbischöfin der Landeskirche Hannovers Dr. Margot Käßmann sowie Dr. Künkel als Direktor des Diakonisches Werkes dieser Landeskirche sprachen am 07. Oktober 2010 von der eigenen Scham über das schlimme Unrecht, das in den evangelischen Heimen Niedersachsens in den 50er und 60er Jahren gegenüber den damaligen Heimkindern geschehen ist, baten um Entschuldigung und Vergebung und versprachen, aus der Vergangenheit gelernt zu haben.

  Nun hat es fast nochmals ein Jahr gedauert, bis die Evangelische Kirche in Deutschland, vertreten von Präses Schneider sowie  das Diakonische Werk der EKD, Vertreten von OKR Stockmeier, um Verzeihung gebeten haben.

  Fast möchte ich denken, dass diese Bitte um Verzeihung zu spät kommt, aber dies hieße ja die Türe zuzuschlagen. Sie kommt in jedem Fall zu einem Zeitpunkt, nachdem der "Runde Tisch" mit seinen umstrittenen Voten abgeschossen wurde und ein Zurückgehen hinter die hier gesteckte Marke nicht mehr möglich ist. Sie kommt zu einem Zeitpunkt, in dem immer mehr Studien von Universitäten die Menschenrechtsverletzungen an Heimkindern bestätigen, wenngleich dies so kaum genannt wird.

  Durch eine teilweise engagierte Presse wurde eine Öffentlichkeit hergestellt, die die Kirchen zunehmend an den Pranger stellte. Zu offensichtlich wurde erneut die Doppelmoral, die ja bereits in den Endsechzigern skandalisiert wurde. Wollte man mit der Kirche der damaligen Zeit nicht verglichen werden, half nur noch die Distanzierung von den damaligen Taten. Dass dieser Prozess so unendlich lange dauerte und erst durch den großen Druck der Öffentlichkeit in Gang gesetzt wurde, macht diesen Prozess nicht glaubwürdiger.

  Nun ließe sich einwenden, besser eine späte Bitte um Verzeihung als gar keine. Vielleicht hat sich die Kirche tatsächlich durch die zu lange verstrichene Zeit in eine ausweglose Situation hineinmanöveriert. Es bleibt aber mit der späten Bitte der Verdacht einer strategischen Abbitte. Es kommen in mir Bilder eines Anwaltes auf, der seinen Mandanten bittet, sich bei den Opfern zu entschuldigen, damit durch die gezeigte Reue das Strafmaß niedriger ausfällt.

  Warum ist es der Kirche nicht gelungen, aus sich heraus sich zu entschuldigen. Es hätte hierfür weder des "Runden Tisches" noch der wissenschaftlichen Arbeiten bedurft. Ein Verzeihen wäre mir leichter gefallen.

 

  2.  Bitten um Verzeihung setzt Bewusstsein über die Untaten voraus

 

  Nicht nur "zur öffentlichen Aufarbeitung gehören das Benennen von Tatsachen, die Dokumentation von Details und das Erkennen verdrängter Wahrheiten", sondern diese gehören auch zur Verzeihung. Hierfür jedoch wissenschaftliche Untersuchungen abgewartet haben zu wollen ist ein Verstecken hinter Dritten und nicht das Einstehen für die Versäumnisse und Untaten der Kirche und ihrer Vertreter. Das Wissen dieser Details hätte sich schnell in der Begegnung mit den Betroffenen aneignen können - und ich bin sicher, dass dieses Wissen sogar vorher bereits da war. Präses Schneider formuliert, dass das damalige Fehlverhalten deutlich im Widerspruch zu den christlichen Überzeugungen gestanden hätte und verweist dabei auf die Einzigartigkeit des Menschen. Es beschäme ihn, dass die Atmosphäre in evangelischen Heimen auf nicht vom Geist christlicher Liebe geprägt war. Wer meinen Blog gelesen hat, wird verstehen, dass ich ganz gut womöglich ohne die geforderte christliche Liebe ausgekommen wäre, hätte man mir nur zu essen und zu trinken gegeben, mich nicht immer wieder verprügelt und mißbraucht. In christlicher Nächstenliebe groß werden zu können mag was großartiges sein. Dort wo dies nicht gelungen ist, braucht sich m.E. kein Präses zu schämen. Schämen könnte man sich darüber, dass es keine Liebe gab, keine Anerkennung der Individualität. Es wurden doch noch nicht einmal die Menschenrechte geachtet - ist das so schwer zu verstehen! Wenn dann noch der Geist der christlichen Liebe das Zusammenleben der Menschen geprägt hätte, wäre das doch der Himmel auf Erden gewesen - aber das erwarte ich doch gar nicht.

Es scheint den heutigen Kirchenvertretern sehr schwer zu fallen, sich auf das Einzulassen, was in so vielen Heimen tatsächlich passiert ist.

  Was in der Verzeihung mit keiner Silbe angesprochen wird, ist die Verantwortung  der damaligen Vertreter der Kirche, die diese Verhältnisse gekannt haben und nicht dagegen eingeschritten sind. Die Verantwortungskette reicht in vielen Fällen vom Landesbischof bis zu den schlagenden Erziehern.

 

 3. Bitten um Verzeihung braucht Begegnung

 

 Ich denke, dass es in diesem Bereich viele gute Bespiele gibt, wie heutige Vertreter von Einrichtungen Begegnungen mit ehemaligen Heimkindern ermöglichen. Leider gibt es auch immer wieder abstoßende Beispiele. Es ist mir noch keine Fortbildung für Heimleiter bekannt, wie sie für ihre jeweilige Einrichtung einen Weg der Aufarbeitung finden können.Offensichtlich gehen die Träger davon aus, dass dies mit der Professionalität der Leiter abgedeckt ist. Zuwenig aber setzt man sich hier damit auseinander, dass Heimleiter hier schnell in Loyalitätsfallen geraten können oder Angst davor haben,  die regionale Presse auf das Thema der jeweils dunklen Vergangenheit erst zu heben.

Meine Erfahrung ist, dass Begegnung für beide Seiten schwierig ist, sowohl für die damaligen Opfer als auch für die heutigen Vertreter der Kirche. Begegnung braucht aber auch Zeit - Zeit füreinander. Vielleicht auf Zeit der Stille bis ein Wort gesprochen werden kann oder eine Geste gegeben werden kann. Da wo Begegnung nicht stattfindet und nicht ausgehalten werden kann,  kann auch nicht verziehen werden.

  Ich denke daran, dass Dr. Künkel mir ein Glas Wasser reichte, als ich von meinen Erlebnissen berichtete. Er wusste wahrscheinlich nicht um die Bedeutung dieses Glases Wasser, was ich als Kind oft nicht erhielt. Ich denke aber auch an den Gottesdienst von Frau Dr. Käßmann, die mit den Erinnerungen an ihre eigene Kinder eine Authentizität erhielt, der ich die Scham abnahm. Hier fand für mich eine Begegnung statt, die mich bis heute versöhnlich stimmt. Obwohl auch diese Begegnung  eher oberflächlich war und die individuelle Ansprache fehlte,  hatte sie für mich in Form des Gottesdienstes eine Dichte erhalten, die mir gut tat.

 

4.  Die "Entschädigung" und die Verzeihung

 

Tatsächlich kann mit keinem Geld wieder gut gemacht werden, was mir im Heim angetan wurde. So standen Geldzahlungen für mich nie im Vordergrund. Ich merke aber bei mir in den letzten Monaten eine Veränderung. Diese wurde vor allem dadurch ausgelöst, dass - wollte ich eine Geldleistung erhalten - heute nachweisen muss, dass mir aus der damaligen Heimzeit ein Schaden entstanden sein muss. Ich finde es für mich eine unerträgliche Vorstellung, dass ich mich heute quasi als defizitär darstellen sollte. Dies wäre für mich nach fast 50 Jahren eine weitere Erniedrigung. Es hat mehrere Vorschläge gegeben, wie ehemalige Heimkinder hätten entschädigt werden können, für mich ist das vorliegende Ergebnis des "Runden Tisches" nicht akzeptabel. Der Kirche obliegt es, darüber hinauszugehen.

Für mich kann ich heute  feststellen, dass ich die Heimzeit  nicht nur überlebt habe sondern auch Stärken mühsam entwickeln konnte, die mir heute bei der Bewältigung des Lebens helfen.  Soll ich hierfür neben den Kirchensteuern und meiner jährlichen Spende der Kirche nochmals Geld schenken? Ich hoffe, dass sich hier noch die Position der Kirche wandelt. Bei der jetzigen Position kommt mir die Vorgehensweise der Kirche sehr strategisch vor. Die Bitte um Verzeihung hat daher ein "Geschmäckle". Man könnte in manchen Fällen parallelen ziehen zu dem Rat eines Anwaltes gegenüber seinem Mandanten, sich bei dem Opfer zu entschuldigen, Reue zu zeigen, um das Strafmaß zu mindern.

 

Abschließend noch eine kleine Geschichte, die aufzeigen soll, wie schwer es ist zu verstehen. Ein Heimleiter sagte mir einmal, er wüßte was ich als Heimkind erlebt habe, auch er sei einmal von einer Ordensfrau im Kindergarten geschlagen worden. Ich bin ihm dafür nicht böse. Es ist eben schwer zu verstehen.

 

Jomi 

 

 

 

 

 

 

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Über Diesen Blog

  • : Heimerziehung der 50er und 60er Jahre am Beispiel Holzen
  • : Dieser Blog behandelt meine mich prägende Heimzeit von 1957 bis 1963, in der ich vielen demütigenden Handlungen und sexuellem Missbrauch ausgesetzt war. Gleichzeitig soll die strukturelle Dimension des Missbrauchs deutlich werden, die weit über die Individualschuld der Pflegerinnen und Fürsorgemädchen hinausgeht. Verantwortlich waren leitende geistliche Personen des Frauenheims, das Landeskirchenamt der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, Kontrollbehörden usw.
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