Festgottesdienst am 21.05.2009 im Garten des Hauses Harderode. Erste Begegnung von "Ehemaligen" der Heime Rübezahl und Haus Harderode.
Das Haus Harderode ist ein geradezu herrschaftliches Haus, dessen Kontrast zu den Zuchthausbaracken des Lagers Rübezahl kaum größer sein konnte.
Das Wappen eines Rudolf von Blum ziert den Eingang.
Ein "Nebenhaus" von Haus Harderode. Hier waren die meisten Ehemaligen untergebracht, mit denen ich gesprochen hatte.
Über Holzen (schönes Fachwerkhaus neben der Kirche) fuhren wir zum Roten Fuchs. | Nachtrag im Mai 2013, Aus meiner langjährigen Frage, ob es dieses Heim bei Holzen, wie es sich in mir in bruchstückhaften Erinnerungen eingegraben hatte, tatsächlich gegeben haben konnte, wurde nach einiger Zeit der Vorbereitung dieses Treffens im Austausch mit anderen Ehemaligen von Holzen zunehmende Gewissheit. Die ersten zaghaften Gehversuche im Internet hatten über das Forum imHeim zu einem ersten Gedankenaustausch geführt, aus dem zaghafte Kontakte wurden, die letztlich dann zu diesem Treffen geführt hatten. Unser erstes Treffen am 21. Mai 2009 war von einer ehemaligen Bewohnerin und einer ehemaligen Erzieherin vorbereitet worden. Es hatte mich merkwürdig berührt, dass damit 50% der Vorbereitung auf der Seite lag, die uns ehemals so furchtbar gepeinigt hatte, gleichzeitig bot es aber auch Gelegenheit zur Begegnung. Sie fiel mir schwer. Als erster Treffpunkt war das Haus Harderode vereinbart, ausgerechnet zu einem Gottesdienst unter freiem Himmel, bei dem wir als ehemalige Heimkinder besonders begrüßt wurden. Leider war ein Gottesdienst doch ein schwieriger Ort für ein erstes Kennenlernen, da bei den ersten suchenden Worten und Wiedererkennen natürlich für den Gottesdienst eine Störung ausgegangen war. ... natürlich wir Heimkinder. Ich zog mich etwas aus der Gruppe zurück und kam neben der ehemaligen Erzieher R. zu stehen, gerade als wir das Vater unser zu beten begannen. Bei den Worten, "und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern..." spürte ich sofort, dass ich noch nicht so weit war. Eine Gänsehaut lief mir über die Arme. Nach dem Gottesdienst kam dann das eigentliche Treffen zustande. Wir waren bei R. zuhause eingeladen, wo es Kaffee und Kuchen gab. Gespräche entwickelten sich, Bilder wurden ausgetauscht. Die Gespräche wirkten auf mich, als ob wir uns über unseren Kindergartenbesuch austauschen würden. Es war wohl ein vorsichtiges Abtasten, ein Abtasten auch der eigenen Person, was man sich selber zumuten wollte und konnte. Da saßen wir nun zusammen: · die in den Baracken gelebt hatten, zur Zeit von Frau Mayer (bis 1963) · die in den Baracken gelebt hatten zur Zeit von Frau Leupold (nach 1963) · die die Auflösung des Barackenlagers 1972 und den Umzug nach Haus Harderode erlebt hatten · die nur das Haus Harderode kannten Ich hörte die Erzählungen aus meinen Sichten, der Perspektive des 6-jährigen Jungen und der des über 50-jährigen Mannes. Vieles rauschte auch an mir vorbei oder war nicht einzuordnen. Namen wurden ausgetauscht, Erlebnisse berichtet, es waren andere Sichtweisen und ich begann zu verstehen, dass ich damals wenig sprechen konnte und vieles nicht verstand. So wurde berichtet, · dass beim Wechsel von Frau Meyer zu Frau Leupold ein Lager neben der Verwaltung mit lauter Süßigkeiten und Geschenken gefunden wurde, die den Kindern nicht weitergeben worden waren, das Lager wurde ausgeräumt und die Lebensmittel weggeworfen, · dass kein Taschengeld bzw. viel zu wenig ausgegeben worden war und dafür die Heimleitung mit dem Geld den "Erzieherinnen" Zigaretten gekauft hatte, um sie für besondere Aktionen zusätzlich belohnen zu können, · dass viele "Erzieherinnen" viel Alkohol getrunken hatten, · dass das Essen noch lange eine Katastrophe gewesen sei, es nichts zu trinken gegeben habe, sich eine Frau erinnerte, aus der Klospülung Wasser entnommen zu haben, · dass Arme der Kinder in Plastikrohre gesteckt worden waren, damit Kinder nicht an Körperteile langen konnten, wo sie es nicht sollten,oder · dass Kinder sich in einer Reihe aufstellen und an den Händen eines Mädchens riechen mussten, was gezwungen wurde, an jedem Einzelnen vorbeizulaufen wobei die zum schnüffeln Aufgeforderten sagen mussten, ob das Mädchen mit der Hand an ihrem Geschlecht gewesen sei. Eine Geschichte berührte mich besonders: Ein Mädchen musste in Abwesenheit einer "Erzieherin" den anderen Kindern mit einer Schneidemaschine die Haare schneiden. Hierbei fiel die Maschine zu Boden und zerbrach. Aus Angst vor Bestrafung warf sie die Maschine ins Plumpsklo. Als die "Erzieherin" zurückkam und sie sah, dass die Haare nicht fertiggeschnitten waren und die Maschine weg war, mussten sich alle Kinder an einer Wand in einer Reihe aufstellen und bekamen Stunden nichts zu essen, durften sich nicht anlehnen oder sich hinsetzen. Sie sollten dann hiervon erlöst werden, sobald der Erste berichtete, wo die Schneidemaschine war. Irgendwann in der Nacht hielt es ein Mädchen nicht mehr aus und meinte, dass das doch keine Absicht gewesen sei und die Maschine im Plumpsklo liegen würde. Das Mädchen, dem das Malheur geschehen war wurde geschnappt und mit dem Kopf zuerst ins Plumpsklo heruntergelassen, wo es nach der Maschine suchen musste. Die Frau, die mir dies erzählte, leidet noch heute unter dem "Verrat". Immer wieder waren Geschichten zu hören oder zu erahnen, in denen wir damaligen Kinder nicht nur Opfer waren, sondern auch zu (vermeintlichen) Tätern gemacht wurden. Dieses gegeneinander ausspielen, das Heischen um den kleinen Vorteil, der Versuch, schlimmes Übel von sich abzuwenden und den anderen zu belasten, war vielleicht etwas, was heute machen von uns - so er sich noch daran erinnern kann und will - unauflösbar verstrickt in eine Schuld die er haben mag oder eben nicht hat, weil er im Täter wieder zum Opfer dieses unmenschlichen Systems wurde.
Erst am folgenden Tag, nachdem wir uns im "Roten Fuchs" getroffen hatten, machten wir uns von dort aus auf den Weg zu den ehemaligen Baracken, unserem Heim oder besser Lager.
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Hans Bauer, beauftragter des Diakonischen Werkes der Landeskirche Hannovers. Er initiierte, meine Erinnerugen an Holzen aufzuschreiben. Mit dem ersten Telefonkontakt hatte ich Herzrasen bekommen. Ich lernte in Herrn Bauer einen unpretentiösen, offenen und authentischen Menschen kennen, dessen Begegnung gut tat. Sein Auftrag wurde bereits Oktober 2009 beendet - aus welchen Gründen auch immer.
| Im "Roten Fuchs" trafen wir uns mit Hans Bauer. Er war vom Diakonischen Werk der evangelischen Landeskirche Hannover beauftragt worden, die Gewalt in der Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren aufzuarbeiten und über eine Hotline ehemaligen Heimkindern die Möglichkeit zu geben, mit ihm in Kontakt zu treten. Viele von uns ehemaligen Heimkindern hatten dies getan und durch ihn den Mut gefunden, sich mit ihrer Vergangenheit nochmals auseinanderzusetzen. Er berichtete über den Stand der Forschung in der Aufarbeitung der Heimerziehung, wirkte dennoch seiner Kirche und dem Diakonischen Werk gegenüber stets loyal. Herr Bauer mußte sich Zweifel an der ernsthaften Aufarbeitung anhören, zu sehr war wohl auch der Start eines Herrn Kottnick mißlungen, der an einer Aufarbeitung offensichtlich nicht interessiert war. Wie nachhaltig hier ein Dr. Künkel wirken wird, bleibt abzuwarten. |
Eine Schranke versperrt den Waldweg. Links des Weges liegen die Fundamente der ehemaligen Baracken, von Humus überdeckt
| Im Anschluss an das Treffen mit Herrn Bauer fuhren wir Richtung Holzen zum ehemaligen Heimgelände. Es liegt vom Hinweisschild der DASAG Richtung "Roter Fuchs" ca. 300 Meter auf der linken Seite. Eine Schranke versperrt heute die ehemalige Panzerstraße, deren Betonplatten noch gut zu erkennen sind. |
Die Kipplade des Lastwagens trug ich zu meinem Auto wie ein Archäologe, der eine wertvolle Plastik gefunden hat. | Der kleine Steinbruch an den ehemaligen Baracken ist mittlerweile zur Schuttablage geworden. Öfen, viele Bier- und andere Flaschen, Metall, Bauschutt. Der Abschied voneinander kam so schnell, dass ich ihn nicht richtig mitbekommen habe. Dennoch hoffe ich, dass wir in Kontakt bleiben. Zuviel wurde noch nicht angesprochen, vielleicht auch zu wenig überlegt, war wir noch gemeinsam erreichen wollen und können. |
Ich fand unter einer Humusschicht tatsächlich noch die "Bodenfliesen" aus Asphalt - schwarz, wie sie die meisten Baracken zierten. | Am nächsten Tag machte ich mich nochmals auf den Weg. Ich hatte mir dieses Mal Zeit genommen. |
So ähnlich müssen unsere Baracken ausgesehen haben. Eingearbeiteter Kommentar (Mai 2010):
| Ich hatte beschlossen, den kleinen Steinbruch nochmals aufzusuchen, um das ein oder andere vielleicht im Schutt noch aufzutreiben - vergebens. Ich fand jedoch dort den Eingang eines Stollens der unter den Baracken der Zwerge und Zwitscherlinge durchlaufen müßte. Dieser war jedoch nach wenigen Metern vermauert. Natürlich war sofort das Bild des eingewickelten Leichnams vor meinen Augen, der in ein Loch fallen gelassen wurde. Aber auch hier kamen keine weiteren Details in Erinnerung. Ich entschloss mich, noch einen Spaziergang nach Holzen zu unternehmen. |
| Diese Straße nach Holzen sind wir in Zweierreihen oft entlang gelaufen. Mit wenigen Photopausen war ich nun bis zur Schule eine halbe Stunde unterwegs. Ich erinnerte mich an Wanderungen, bei denen wir endlich im Dorf ankamen. Mir war dann damals schon klar, was wir noch für eine unendlich weite Strecke vor uns hatten, bis wir wieder im Heim waren. Schlimm war, dass die Schuhe zu klein waren, ich oft Blasen an den Füßen hatte und höllische Schmerzen ertragen mußte, auf die keine Erzieherin Rücksicht nahm, im Gegenteil: wurde geklagt, gab es noch was drauf. |
Auf dem Weg nach Holzen Blick nach links über das | Mir ist klar, dass ich hier auf einen Streifen schaue, bevor das Internierungslager für italienische Soldaten von Holzen begann. Immer wieder sinniere ich darüber, was der Boden alles gesehen hat und dass der Mensch nur allzu bereit ist, wieder zu vergessen. Zu diesem Zeipunkt wußte ich noch nicht, dass hinter der Baumreihe, Richtung ehemaliges Heim, der Friedhof derer ist, die im KZ oder beim Todesmarsch von Holzen zu tode kamen. Später sprach ich mit Bewohnern von Holzen, die die Schreie der Gefangenen gehört hatten und eingetrichtert bekamen, wenn ihr nicht spurt, könnt ihr morgen auch da drin sein. |
Erster Blick auf Holzen, vom Heim aus kommend. Dort wo das Wäldchen zu sehen ist, müßte das KZ für italienische Militärinternierte gelegen haben. Die Schreie der Gefangenen waren im Dorf zu hören gewesen. | Ein über 80-jähriger Holzener berichtete mir mit seiner Frau, dass sie alle mit dem KZ nichts zu tun gehabt hätten. Auch habe man oben mit dem Zuchthauslager keinen Kontakt gehabt. Die SS als Wachmannschaft sei immer von anderen Ortschaften abkommandiert worden, damit Verflechtungen mit der Bevölkerung ausgeschlossen werden konnten. Das KZ habe bis an ihre Grundstücksgrenze gereicht. Ich hörte interessante Datails von einem Mann, der später viel Zeit investiert hatte, die Geschichte Holzens aufzuarbeiten. Kürzlich sei etwas Unruhe aufgekommen. Ein Reporter sei aufgetaucht und habe nach dem Lager gefragt. Da sollen Kinder zu tode gekommen sein. Dass im Heim oben schlimme Sachen passiert seien, könnte sich heute von den Alten so richtig eigentlich keiner Vorstellen. Die Kinder hätten doch teilweise Kontakt mit Dorfkindern gehabt, auch seien sie in die Schule gegangen, da hätte man doch was gehört. Frau Leupold, die spätere Heimleiterin, eine engagierte Frau, habe sogar im Gemeinderat gesessen. Auf der anderen Seite habe er selber so schlimme Sachen im Krieg erlebt, dass er vieles heute noch nicht seiner Frau erzählt habe. Ja - das könnte auch mit den Kindern so gewesen sein. Womöglich hätten sie sich schon damals nicht getraut zu erzählen, was sie erlebt hatten - aber glauben kann er das eigentlich nicht. Tatsächlich waren einige Bewohner aufgerüttelt worden, durch die Geschichte eines kleinen Kindes, was dort oben im Heim zu Tode gekommen sein soll. Auch er sei befragt worden, es sei aber wohl nichts dabei rausgekommen. |
Immer noch wächst der Sauerampfer rechts und links der Straße. Ihn als Kind essen zu können bot eine willkommene Abwechselung | Auf dem Rückweg aus Holzen hinauf zum Greitberg hing ich meinen Gedanken und Gefühlen nach. Auch ich kannte die Geschichte von dem kleinen Jürgen und war von der Polizei über den möglichen gewaltsamen Tod des kleinen Kindes befragt worden. Meine Erinnerugen sind jedoch derart diffuse, dass dies zu keiner belastenden Aussage gereicht hat. Auf meine Nachfrage, "verschwundene" Kinder hätten doch als vermißt gemeldet werden müssen, bekam ich die Antwort, dass die Belegungsbücher derart chaotisch geführt worden seien, dass aus diesen ein Verschwinden eines Kindes nicht mehr zu rekunstruieren sei... Ich kam an Sauerampfer und an Klee vorbei, den ich mir als Kind auf unseren Wanderungen abzupfte und aß bzw. auslutschte. Ich selbst kann es heute kaum noch fassen, dass dies nicht nur aus Neugierde geschah sondern immer wieder vom Hunger getrieben. Dieses sammeln hat sich tief bei mir verankert. Ich mache es heute noch bei Spaziergängen und es ist mir dann eine tiefe Befriedigung. |
Auf der Straße von Holzen Richtung Greitberg, Grünenplan, der Rückweg vieler unserer Wanderungen die wir als Heimkinder zurückgelegt hatten.
| Auch der Klee weckte Erinnerungen, Wir zupften die Blüten ab und saugten den Nektar von unten heraus. Die Erinnerugen waren süß, heute ist der Geschmack nur noch enttäuschend. |
Dies soll der Ort des Terrors und des ewigen Albs gewesen sein? | Ich übernachtete in Grünenplan, in dem Hotel, indem ich Anfang 1963 mit meinen späteren Adoptiveltern einen Kakao getrunken hatte. Am Samstag den 23. Mai machte ich mich erneut auf, Richtung Holzen, Rübezahl. Diesesmal ging es jedoch auf die andere Straßenseite, dorthin, wo meine Baracke stand. Noch während ich hier schreibe, bekomme ich einen Kloß in den Hals. Was ist hier auf dem Boden alles passiert. Wieviele Kinder wurden hier ausgepeitscht, zusammengeschlagen, gefesselt, eingesperrt, mißbraucht - und eines dieser vielen Kinder war ich. Gut vorbereitet hatte ich Schaufel, Spaten, Besen und Astschere dabei. |
In diesen Abfluß war der Zugang zum Reich der Hexen. nicht hineingezogen wurden. Über den schwarzen Steinplatten sind Reste von PVC-Platten zu sehen, mit denen in den späten 60ern die Baracken optisch etwas aufgebessert worden waren. unten: Tatsächlich fand ich noch einen Suppenteller, der fast unter dem Waldboden verschwunden war. Aus diesen Tellern mußte ich das Erbrochene essen, wenn ich Luft holte, brannte mir das Essen in der Nase. | Mühsam gelang es mir, die Fundamente zu erahnen. Beim Suchen hatte ich am falschen Ende begonnen. Dann aber war die Orientierung schnell wieder hergestellt. Die Baracke war viel kleiner, als ich in Erinnerung hatte. Tatsächlich war sie aber auch wesentlich kürzer als die anderen Baracken, vielleicht 16 Meter lang und - wie die anderen Baracken auch - 10 Meter breit. Mit Schaufel und Besen entfernte ich die Humusschicht, die hier unter den Laubbäumen dicker als bei den anderen Baracken war. Das Schlafzimmer erschien mir so klein. Ich ging in die Ecke wo ich als Kind im Gitterbett lag - und wurde unglaublich ruhig. Wie groß das Schlafzimmer damals war, mit wie wenig Schritten ich es jetzt durchmaß. Gegenüber lag das Erzieherzimmer. Es hatte sich wohl an der Aufteilung bis zum Schluß nichts geändert, da hier noch Telefonkabel aus der Fundamentplatte rausschauten. Dieses Zimmer war uns wie ein Heiligtum - Tabu - bis ich dort Zärtlichkeit erleben durfte, die dann Unheimlich und mir dann zur Qual wurde (vgl. Erinnerungen aus meiner Zeit in Holzen) Nebendran war der Waschraum, der Abfluß ist auf dem Bild noch gut zu erkennen. |
| Hinter der Baracke Richtung Wald übertrat ich den imaginären Zaun, sehr bewußt, da dieser als Kind die Grenze meiner Bewegungsfreiheit bedeutete. Natürlich war von dem Zaun keine Spur mehr vorhanden. Dafür war der Waldboden voll mit alten Bierflaschen und den 0,33- Liter-Flaschen. Geruch von Alkohol, Schweiß und anderen Körpersäften stieg mir sofort in die Nase. Mir ging es nicht gut. Die 0,33-Liter-Flaschen fand ich übrigens auch im Steinbruch hinter den Baracken der Zwerge und Sonnenstrahlen. Ich habe heute keine Ahnung mehr, was sie beinhalteten. |
Unter dem Waldboden fand ich diese Rest des Fundaments des damaligen Plumpsklos. Selbst für mich ist es heute kaum zufassen, dass ich an dieser Stelle einmal habe gllauben müssen, mein Leben würde hier sein Ende gefunden haben. Dies ist der Ort, an dem ich kopfüber in die Fäkalien getunkt worden war. Anschließend lag ichmit Fieber und Halluzinationen tagelang im Bett. Lange war ich | Als ich die Fundamente des Plumpsklos ausgrub, auch sie waren dann schnell gefunden, begann ich nach all den vielen Jahren zu zittern, zu weinen und erbrach. Es war zuviel geworden was ich mir zumutete. Ich packte meine Sachen zusammen und machte eine große Tour um den Greitberg herum, durch einen wunderbaren Buchenwald mit schönen Moosen und großartigem Lichtspiel der Sonne zwischen den Stämmen. Nach über drei Stunden kehrte ich an den Ausgangspunkt zurück und setzte mich auf einen Stuhl in die Sonne - erleichtert auf die Zeit schauen zu können und nicht mehr in ihr leben zu müssen. |
Diesen Schmetterling fand ich ein Jahr später auf dem ehemaligen Heimgelände. Er ist mir Brücke zu meinen Kindheitserinnerungen, die mir damals bereits das Leben aushalten ließ. Heute weiss ich, dass das damalige Leben nicht alternativlos war. Damals war es mein Leben. Sonne, Schmetterlinge, Früchte des Waldes, Gerüche waren mir | Das was in Holzen geschah, kann kein Mensch erahnen, der dicht an den Barackenfundamenten durch diesen herrlichen Wald läuft. Das was in Holzen geschah, wird sich in keinen Akten finden lassen. Das was in Holzen geschah hat in jedem von uns ehemaligen Heimkindern tiefe Narben hinterlassen. Viele von uns sind daran zerbrochen, haben sich suizidiert, andere schützen sich durch Verdrängung und ersticken doch fast an dem, was sie nicht erinnern wollen und können; manche haben es "geschafft" und sind trotzdem des ewigen Kampfes erschreckend müde geworden, des Kampfes, sein Leben aufrecht zu gehen; wenige mögen glauben, aus den Erinnerungen heute profitieren zu können. Heute denke ich oft nicht an das Kinderheim Rübezahl sondern an das Lager, ein Wort, was Dorfbewohner noch 1988 bei einem Besuch von mir in Holzen öfter gebrauchten. Tatsächlich war Rübezahl kein Heim mit Erziehern sondern ein Lager mit Aufsehern - getragen von einem Träger, der dieses Lager betrieb, wissend um die unmenschlichen Zustände... |